Durch die Decke schießt du erst, wenn etwas richtig beißt — Murathan Muslu im Interview

Kinopremiere des Films Hinterland im Village Cinema, Wien, 7.10.2021, - Murathan Muslu, Stefan Ruzowitzky © Andreas Tischler

Es ist der Tag nach der Premiere von „Hinterland“, an dem wir Murathan Muslu treffen. Er kommt gerade von einem Meeting mit alten Ottakringer Freunden, mit denen er ein Musiklabel gegründet hat. Schnell wird klar: Muslus Terminkalender ist voller als der Yppenplatz an einem sonnigen Samstag im Juli. Trotzdem nimmt er sich viel Zeit, um mit uns zu sprechen.

„Hinterland“ ist der neueste Film von Oscar-Preisträger Stefan Ruzowitzky. Muslu spielt darin den Kriegsheimkehrer und Ex-Kriminalbeamten Peter Perg, der schwer traumatisiert aus der Kriegsgefangenschaft in ein dystopisches Wien heimkehrt. Wien, das vorher stolze Zentrum des K.u.K-Imperiums, ist jetzt die verkommene Hauptstadt einer nun winzigen Ersten Republik voller zwielichtiger Gestalten und Gewalt. Der Film ist eine Hommage an den expressionistischen deutschen Film: „Metropolis“, „M — Eine Stadt sucht einen Mörder“ und „Das Cabinet des Dr. Caligari“ werden visuell zitiert. Filme, die vor 100 Jahren das Kino revolutioniert haben — ein großes Erbe also, dem sich der Darsteller und sein Regisseur stellen. Muslu verkörpert den vom Krieg seelisch zerstörten Perg mit düsterer Präzision und der Vergleich mit Heinrich George, der in Phil Jutzis 1931 gedrehtem „Berlin Alexanderplatz“ den Franz Biberkopf darstellt, kommt nicht von ungefähr. „Ick finde mir einfach nicht mehr zurecht“, berlinert Biberkopf entlassen nach langer Haftstrafe, in der Romanvorlage von Alfred Döblin. Dieselbe Stimmung in die eigene, fremdgewordene Stadt heimzukehren, fängt Muslu in „Hinterland“ mit Bravour ein.

Aus eigener Kraft

„Es war Glück und Zufall, dass ich in der Filmbranche gelandet bin“, erzählt Muslu. „Ich habe damals eigentlich Musik gemacht“. Gemeint ist die Hip-Hop-Crew Sua Kaan, die 2010 die österreichischen Charts mit dem Album „Aus eigener Kraft“ aufmischte.

„Wir waren Kids, die im Park abhingen, aber wir wollten Kunst machen. Das Album haben wir so genannt, weil wir das alles selbst, aus eigener Kraft, auf die Beine gestellt haben.“ Umut Dağ, der die Musikvideos der Band gedreht hat, studierte damals an der Filmakademie bei Michael Haneke und musste einen Kurzfilm als Abschlussarbeit abliefern. „Da hat er im Sinn gehabt, dass ich dort mitspielen soll. Und ich habe mir nur gedacht, das kann ich nicht“, bekennt Muslu. „Aber da der Umut uns so viel mit den Musikvideos geholfen hat, habe ich ihm gesagt: ‚Wenn du denkst, dass ich dir helfen kann, mache ich das gern. Aber ich glaube nicht, dass ich der Richtige bin.'“ Der Kurzfilm „Papa“ gewann dann überraschenderweise viele Preise — etwas den „First Steps Award“ in Deutschlang und auf der Diagonale in Graz wurde der Film ebenfalls ausgezeichnet. „Umut hat mich dann für seinen ersten Spielfilm „Kuma“ besetzt. Zur gleichen Zeit habe ich, eher z…

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